Wie die Abstimmung über das CO2-Gesetz verloren wurde - unsere Analyse

Wie die Abstimmung über das CO2-Gesetz verloren wurde - unsere Analyse

Erschienen am: 18.07.2021

Nachdem das CO2-Gesetz in der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 abgelehnt wurde, wollten wir uns genug Zeit nehmen für die Analyse.

So weh die Niederlage auch tut, so ganz überraschend erscheint sie uns im Nachhinein nicht mehr. Wir teilen unsere Erkenntnisse gerne hier mit euch.

1. Stadt-Land-Graben und eine rekordhohe Mobilisierung

  • In der Schweiz hat sich ein bestehender Graben vertieft, nicht zwischen den Sprachregionen, sondern zwischen der Landbevölkerung und den Städten. Einerseits gingen die Stimmenden auf dem Land in rekordhoher Zahl an die Urne, mobilisiert von den beiden Agrar-Initiativen, andererseits war der Stadt-Land-Graben so stark, dass man ihn sogar innerhalb von Landkantonen findet: Während lokale Zentren wie Liestal, Wil oder Frauenfeld dem Gesetz zustimmten, lehnten es ihre unmittelbaren Nachbardörfer ab (vgl. Punkt 3). Auch wenn der Turn-out  in den Städten nicht so hoch war, wie er hätte sein können, muss man doch festhalten, dass die Städte durchaus überdurchschnittlich gute Stimmbeteiligungen verzeichneten. Letztlich wurden sie aber von der Landbevölkerung überstimmt.

  • In den städtischen Gemeinden und reichen Agglomerationsgürteln (wie an der Zürcher Goldküste), ist das CO2-Gesetz kaum auf Widerstand gestossen. Doch in klassischen mittelständischen ländlichen Regionen, ärmeren Gemeinden und in Bergregionen schon. Dies deutet also auch auf eine Korrelation zwischen dem Einkommen bzw. Bildungsstand und dem Stimmentscheid hin.

2. Gegner holten Leute mit Zukunftsängsten ab

  • Die Befürworter haben den Gegner unterschätzt! Die SVP hat wiederholt bewiesen, dass sie eine Abstimmung im Alleingang gegen das Polit-Establishment gewinnen kann. Diese Erkenntnis hat man sträflich ignoriert.

  • Gleichzeitig muss man festhalten, dass die Erdöllobby, die Fluggesellschaften und der Hauseigentümerverband massive Unterstützung geliefert haben. Alle drei stimmten in die Angstmache von Verteuerungen ein. Sie waren sich sogar nicht zu schade, Falschinformationen bezüglich des Klimawandels unters Volk zu bringen.

  • Die SVP und ihre Verbündeten haben den Mittelstand “verstanden” und abgeholt und Zukunftsängste mit Erfolg an das Gesetz gekoppelt. Dass die Gegner bis tief in den Mittelstand Stimmen geholt haben, zeigt sich eindrücklich darin, dass weder bei der FDP noch bei “der Mitte” eine Mehrheit für das Gesetz zustande gekommen ist. Sogar in der SP betrug die Ablehnung 25 Prozent, ob das mit der Klimabewegung oder der SVP zu tun hat, sei dahingestellt. Doch ist es auffällig, dass auch links eine grosse Skepsis vorherrschte.

3. Auto, Einfamilienhäuser und Flüge als Heilige Kühe

  • Untersuchungen zeigen, dass die Zuschläge auf Treibstoffe, das Verbot von Ölheizungen und die Zuschläge auf Flüge dem Nein-Lager massiven Zulauf beschert haben. Die Gegner haben ihre Argumentation geschickt auf diese Massnahmen ausgerichtet und Panik geschürt. Insbesondere bei den beiden Punkten Fliegen und Autofahren. Der Grüne Zürcher Regierungsrat Martin Neukom stellte in einer ersten Analyse denn auch die berechtigte Frage, warum man genau diese Massnahmen in das Gesetz gepackt hatte, wo doch - so Neukom - deren Lenkungswirkung verhältnismässig gering sei. Er plädiert für klare gesetzliche Vorgaben verbunden mit einer Kostenbremse und staatlichen Investitionen; in anderen Worten: eine Ölheizung darf nur mit einer Wärmepumpe ersetzt werden, der Staat unterstützt jedoch die Anschaffung finanziell.

  • Es ist tatsächlich im Rückblick unverständlich, dass die Zuschläge auf Flugreisen indirekt ausgerechnet von der Klimabewegung in das Gesetz gedrückt worden waren, die das Referendum in der Folge sogar noch unterstützte, statt das Gesetz zu stützen. Die Flugticketabgabe kann - richtig ausgestaltet - ein wichtiges Instrument der Klimapolitik sein, aber darf nicht dazu führen, dass “unmoralisches” Verhalten sanktioniert wird, denn dann verliert sie an Zustimmung.

4. Fehlende Stimmen der Jugend

  • Überraschend finden wir die hohe Ablehnung in der Altersgruppe 18-34 Jahren (vgl. auch Punkt 5). Insbesondere herrschte in dieser Generation grosse Skepsis gegenüber der Verteuerung des Benzinpreises und von Flugreisen. Möglicherweise haben viele Junge inzwischen das Gefühl, sie müssten für die Versäumnisse ihrer Väter/Mütter oder sogar Grossväter/-mütter aufkommen und deren Zeche für den Klimaerwärmung bezahlen. Etwas, was auch in der Debatte zur Sicherung der Altersvorsorge anklingt. Im Kontext des Klimawandels ist die Sichtweise ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen.

  • Möglicherweise - und das könnte sich in Zukunft noch problematisch erweisen - ist FridaysForFuture gar nicht repräsentativ für die Jugend, sondern nur eine urbane und intellektuelle Minderheit. Die fehlende Mobilisierung der Klimabewegung bzw. aktive Bekämpfung des Gesetzes in vielen Sektionen des Klimastreiks hat dem Gesetz jedenfalls geschadet.

5. Spill-Over-Effekte von Corona

  • Die Skepsis gegenüber der CO2-Vorlage war gerade unter Corona-Skeptikern sehr hoch, es gab eine hohe Korrelation zwischen Anti-Covid- und Anti-CO2-Gesetz-Stimmenden. Gleiches gilt für die Nein-Stimmen-Anteile.

  • Sicherlich ein wichtiger Grund: Die Skepsis gegenüber den Behörden hat stark zugenommen, die Beschneidung von Grundrechten und bürgerlichen Freiheiten hat zu einer Erosion des Vertrauens in unsere Institutionen geführt. Schon bei den Abstimmungen vom November 2020 kamen solche Effekte überdurchschnittlich zum Ausdruck.

  • GFS Bern hat vorgerechnet, dass zwischen 2000 und 2020 nur 25 Prozent der Behördenvorlagen abgelehnt wurden. Seit dem ersten Lockdown ist die Ablehnung von Behördenvorlagen auf 40 Prozent gestiegen. Der Zeitraum ist nicht vergleichbar, aber es zeigt sich eine deutliche Tendenz. Viele dieser Nein-Stimmen müssen als Protest-Stimmen verstanden werden.

Wie geht es weiter? Nächste Meilensteine in der Schweizer Klimapolitik

Auch einen Monat nach der Abstimmung ist die Enttäuschung gross, dass die Schweizer Stimmbevölkerung das CO2-Gesetz abgelehnt hat. Angesichts der Rekordhitze im Westen Nordamerikas und der tragischen Überschwemmungen in ganz Europa, mutet die Ablehnung zynisch an.

Dennoch blicken wir zuversichtlich in die Zukunft, denn wie wir auch schon nach der Abstimmungsniederlage festgehalten haben, sind wir überzeugt, dass der Klimaschutz und die Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft unaufhaltsam voranschreiten. Viele Unternehmen haben Netto-Null-Ziele formuliert, die EU verbietet faktisch ab 2035 den Verbrennungsmotor, und generell sind grüne Technologien gegenüber fossilen Energieträgern auf dem Vormarsch. Und für Normalbürger*innen erschwinglich geworden, man denke etwa an die Preise von Solarenergie oder von Elektroautos.

Es gilt nun, auch auf der gesetzlichen Ebene Fortschritte zu erzielen. Das aktuelle CO2-Gesetz läuft Ende Jahr aus und dies bedeutet, dass die Schweiz ab 2022 kein Reduktionsziel mehr hat. Es wird davon ausgegangen, dass das Parlament das geltende Gesetz bis maximal 2024 verlängern wird. Bis dann soll parallel eine neue klimapolitische Vorlage erarbeitet werden und die Frage geklärt werden, wie es in der Schweizer Klimapolitik weitergehen soll. Denn die Schweiz ist aufgrund des Pariser Abkommens verpflichtet, ihre Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.

Und nicht zuletzt wird der Bundesrat diesen Herbst auch einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative präsentieren müssen. Hier sind wir besonders gespannt, was der Bundesrat dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern entgegensetzen wird. Wir freuen uns, die nächsten Schritte in der Schweizer Klimapolitik mit euch zu gehen! Und unsere Stimme zu nutzen, wenn Entscheide von grosser politischer Tragweite anstehen.