Jede Tonne CO2 zählt

Jede Tonne CO2 zählt

Erschienen am: 14.02.2023

Gedanken zu den aktuellen klimatischen Veränderungen von Benjamin Stocker, Professor für Erdbeobachtung und Modellierung an der Universität Bern und POW Science Alliance Member

Autor:in: Benjamin Stocker

Die dramatischen Bilder von Skipisten in den Alpen, verzweifelt mit Kunstschnee präpariert und schauerlich vor dem Hintergrund grüner Berge, bieten einen Blick in die Zukunft. Und die Zukunft schlägt schneller zu, als viele von uns erwartet haben. Es geht hier um das, was uns lieb und teuer ist. Diese Bilder sind ein Weckruf, die Welt so zu erhalten, wie wir sie als Outdoor-Enthusiastinnen, Skifahrer, Snowboarderinnen, Kletterer, Rodlerinnen, Schlittschuhläufer und Schneewandererinnen lieben. Wir werden erinnert, dass sich das Klima verändert, dass die Gletscher schwinden, dass der Schnee zurückgeht und dass die Welt, wie wir sie kennen, dahinschmilzt und zu einer Erinnerung an unsere Vergangenheit wird. Es ist auch ein Weckruf, dass wir unsere Winter schützen. POW zeigt, dass wir das können. Unsere Begeisterung für die Natur treibt uns an, sie zu erhalten. Klimaschutz und Wintersport gehören zusammen.

Schneehöhe
Grafik Stand 14.02.2023: Dargestellt ist die aktuelle Schneehöhe im Vergleich mit dem langjährigen Mittelwert an diesem Kalendertag. Dabei ist zu erkennen, dass beinahe in der ganzen Schweiz die Schneehöhe Mitte Februar lediglich 30-60% des langjährigen Mittels beträgt. Quelle: SLF

Klar ist, dass unsere Begeisterung für die krude Wildnis und den kalten Winter Spuren hinterlässt. Es gibt kein Leben ohne Spuren. Das ist die Botschaft von POW: Wir können und sollen uns bemühen, unsere Auswirkungen auf den Planeten zu reduzieren und uns für Veränderungen einzusetzen, auch wenn wir anerkennen, dass wir nicht perfekt sind und Spuren hinterlassen. Wir sind unvollkommene Fürsprecher*innen - imperfect advocates. Dennoch ist es besser, unvollkommene FürsprecherInnen zu sein, als den Kopf in den Sand zu stecken. Diese Botschaft spricht mich als begeisterten Skifahrer an, als jemanden, der sich fast patriotisch fühlt, wenn das Alpenglühen der schneebedeckten Alpenkette einsetzt. Und sie spricht mich als Klimawissenschaftler an. Weil sie Sinn macht - wissenschaftlich! Hier ist der Grund.

Angenommen, ich wäre ein professioneller Skifahrer (wovon ich irgendwann in meinem Leben geträumt habe und vielleicht auch heute noch gerne wäre). Ich entscheide mich dafür, zwei meiner zahlreichen geplanten Flüge in diesem Jahr zu vermeiden. Das kommt dem Klima genauso zugute, wie wenn du beschließt, deine einzigen geplanten zwei Flüge für deinen nächsten Urlaub nicht zu buchen und ein absolut flugfreies Jahr zu feiern. Obwohl letzteres reiner und entschlossener erscheint, sich lohnender anfühlt und definitiv einen besser klingenden Instagram-Post ergibt, ist es dem Klima egal. Eine vermiedene Tonne ist eine vermiedene Tonne - egal von wem und wo auf der Erde.

Grafik Beni
Je mehr CO2 ausgestossen wird, desto mehr steigt die mittlere globale Temperatur an. CO2 wird hauptsächlich durch die Verbrennung fossiler Energieträger und die Abholzung ausgestossen. Die Kurve setzt sich zusammen aus der Beziehung zwischen der aufsummierten CO2 Produktion und dem Temperaturanstieg seit 1850. Die Daten sind Beobachtungen für die Vergangenheit (schwarze Linie und graues Band) und aus Projektionen mit Klimamodellen, welche verschiedenen zukünftigen Szenarien folgen (SSP1-1.9 ist ein Szenario mit schneller Reduktion des CO2 Ausstosses, SSP5-8.5 ist ein Szenario starker Zunahme des CO2 Ausstosses). Grafik adaptiert von IPCC AR6 WG1 Summary for Policymakers.

Die Klimaforschung zeigt, dass jede Tonne CO2, die wir ausstoßen, eine bestimmte Menge an globaler Erwärmung bewirkt (siehe Grafik oben). Die Erwärmung pro Tonne ausgestoßenes CO2 ist ungefähr konstant. Beobachtungen und Projektionen von Klimamodellen zeigen, dass die mittlere globale Temperatur in dem Maße steigt, wie die Summe aller CO2-Emissionen seit 1850 zunimmt.

Das bedeutet, dass jede Tonne, jedes Gramm CO2 zählt. Jede Tonne trägt gleich viel zur Klimaerhitzung bei. Dem Klima ist es ziemlich egal, nicht nur von wem und wo, sondern auch wann das CO2 ausgestoßen wird. Dieser Umstand enthält eine wichtige Botschaft: Es ist nie zu spät, eine Tonne CO2 Ausstoss zu vermeiden. Jede Generation muss sich dafür einsetzen, den Kohlenstoff im Boden zu lassen und die verbleibenden Wälder und andere kohlenstoffreiche Ökosysteme vor ihrer Zerstörung zu bewahren. Es ist nie zu spät. Wir müssen allerdings die Anstrengungen zum Klimaschutz auch immerzu fortsetzen - von jetzt an und für alle kommenden Generationen.

Wir sind nicht die letzte Generation, die etwas ändern kann. Wir sind die erste von vielen, die etwas ändern muss.

Das bedeutet auch, dass wir nicht die letzte Generation sind, die etwas ändern kann. Im Gegenteil. Wir sind die erste von vielen Generationen, die etwas ändern muss. Wir sind die erste Generation, die ernsthaft das Steuer herumreißen kann, was die persönlichen Lebensentscheidungen und den politischen Wandel angeht, den wir durch Wählen, Abstimmen und Protestieren in Gang setzen können. Hier in der Schweiz sind wir die erste Generation, die über wichtige Klimagesetze abstimmen kann, und wir haben dieses Jahr eine zweite Chance (nach dem erfolglosen CO2-Gesetz vom Juni 2021) mit der bevorstehenden Abstimmung zum Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative.

Es wäre fatal, die Bemühungen aufzugeben, selbst wenn sich die Welt um 1.5 Grad Celsius erwärmt hat - die Zahl, die sich die Weltgemeinschaft als Ziel gesetzt hat. Es gibt keine magische Schwelle bei diesem Temperaturanstieg. Es gibt zwar Kipppunkte im Klimasystem, wir wissen jedoch nicht genau, wann diese erreicht werden. Das ist eine grosse, noch offene Forschungsfrage. Aber für unsere Entscheidung, unsere Winter zu schützen, spielt das keine Rolle.

Es ist wie bei einem White-Out - die Situation, wenn man im Nebel und Schnee die Orientierung komplett verliert. Weiterzugehen, würde bedeuten, sich in unbekanntes und potentiell gefährliches Terrain zu begeben und sich einem möglichen Abgrund weiter zu nähern. In dieser Situation wissen wir, dass es sicherer ist, umzudrehen und unseren Spuren zurück zu folgen. Indem wir fossile Brennstoffe verbrennen und Wälder abholzen, haben wir bereits neues Terrain betreten. Das Klima ist heute nicht mehr dasselbe wie vor hundert Jahren. Je weiter wir allerdings auf dieses unbekannte Terrain vordringen, desto mehr Schaden müssen wir für unsere Ökosysteme, unsere Nahrungsmittelproduktion und unsere Infrastruktur erwarten. Mit jeder weiteren Tonne verbrannten Kohlenstoffs marschieren wir weiter in Richtung Ungewissheit. Das Risiko unerwarteter Klimaereignisse und des Überschreitens eines gefährlichen Klimakipppunktes steigt, je weiter wir auf das unbekannte und gefährliche Terrain vordringen. Mehr Klimawandel wird unser Leben schwieriger machen. Aus diesem Grund müssen wir alles daransetzen, in der sicheren Zone zu bleiben.

Wir haben den Planeten bereits erwärmt. Ein gewisser Verlust von Gletschern und Schnee ist bereits im Gange. Selbst mit strengen Klimaschutzmaßnahmen werden wir in den kommenden Jahrzehnten noch mehr Gletscher verlieren. Eine aktuelle Studie belegt diese Prognose mit beunruhigenden Zahlen. Gletscher verhalten sich wie ein großes Frachtschiff. Selbst wenn der Motor stoppt, wird das Schiff noch eine Zeit lang weiterfahren. Selbst wenn wir die CO2-Emissionen drastisch reduzieren, werden viele Gletscher verschwinden.

Bei der Erwärmung des Planeten verhält es sich anders. Sobald der Ausstoß von Treibhausgasen eingestellt wird, hören wir auf, die Erde zu erhitzen (wie in diesem Blog erläutert). Wir haben es selbst in der Hand. Das ist sehr ermutigend. Es bedeutet, dass wir das Steuer herumreißen können, um noch gefährlichere Ausmaße des Klimawandels und Kipppunkte zu vermeiden.

Wir müssen den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen vermeiden, um eine weitere Erwärmung des Planeten zu verhindern. Dabei zählt jede Tonne CO2, egal ob heute oder morgen. Egal was du gestern gemacht hast, du kannst den nächsten Tag neu starten. Du musst nicht perfekt sein, um dich für den Klimaschutz einzusetzen und Teil des Wandels zu sein, den wir brauchen, um unsere Winter zu schützen - Protect Our Winters!

Titelbild: Neue Zürcher Zeitung, Gian Ehrenzeller / Keystone